Besuch des Palliativteams

19. Juni 2016

 

Warum kann ich mein Gehirn nicht ausschalten? Gedanken, immer diese Gedanken und das immer in eine Richtung, in die ich nicht will. Wünsche, Hoffnung alles verblasst, wenn ich sehe wie es Lena geht. Sie verliert die Kontrolle über ihren Körper. Es geht ihr immer schlechter, sie kann immer weniger, wöchentlich marschiert ihr Zustand in Richtung Pflegefall und ich muss zuschauen und kann nichts tun, außer einfach da zu sein. Doch bin ich oft wie gelähmt, ich kann nicht schreiben, nicht meine Gedanken in Worte fassen, nicht das schöne dokumentieren. Ich bin so leer und antriebslos.


Anfang dieser Woche passierte es, bei Umsetzen vom Rollstuhl (ja Lena sitzt nun mittlerweile im Rollstuhl) ins Bett stand ich falsch, Lena verlor das Gleichgewicht, ich konnte sie nicht halten und sie stürzte. Sie weinte bitterlich, aber ich glaube dass dies nicht nur Tränen wegen der zwei Schrammen waren, sondern es waren auch Verzweiflungstränen, Wuttränen und Ich-will-das-alles-nicht-Tränen. Ich war so überfordert, das ich eine Mail an die Ärztin schrieb. Zum Glück hat diese meinen Hilferuf erkannt, obwohl ich diesen nicht direkt so formuliert hatte. Sie hatte uns am 03. Juli, als wir das Ergebnis des letzten MRT bekamen, schon einmal das Palliantivteam mit einem Flyer vorgestellt. Aber ich hatte erst abgelehnt. Nun war ich froh dass sie kommen konnten.

Gestern waren sie da und ich muss gestehen, ich bin sehr froh, dass Lena’s Ärztin auch im Palliantivteam ist, es macht so vieles leichter. Wir haben über vieles geredet, auch darüber wie es wohl geschieht, wenn es so weit ist. Das es Verfügungen gibt, auch für die Notärzte. Ich habe Nummern bekommen unter denen ich immer jemanden erreichen kann. Alles in Vorbereitung auf das eine…… unausweichliche……….. dass das keiner haben will. Ich weiß nun das Lena wohl keine Schmerzen hat, bzw. haben wird und vermutlich einfach einschläft. Ein Trost????

Manchmal frage ich mich, hab ich sie schon aufgegeben? Nach einiger Zeit überlegen denke ich nein, aber wir sind nun an einem Punkt an dem sich auch Lena sagt, so will ich nicht leben. Bis vor kurzem wären wir mit einem Stillstand zufrieden gewesen, aber nun wollen wir keinen Stillstand mehr, so will keiner all zulange leben. Ich sehe wie auch Lena der Mut verlässt und sie sich immer mehr dem Schicksal fügt. Dann schweifen meine Gedanken ab und ich stell mir die Frage, wird sie sich irgendwann wünschen dass sie sterben kann?

Was bleibt ist die Frage: „Warum“? Warum zum Teufel, warum gerade sie, warum so jung? Wo ist da der Sinn. Ja ich bin immer noch auf der Suche nach dem Sinn. Denn das kann es doch nicht gewesen sein! Eine Freundin, die ich leider noch nicht so lange kannte, ist auch mit 29 Jahren an Krebs gestorben. Kurz vor ihrem Tod saß sie bei uns in der Küche und sagte: „Das kann doch nicht schon alles gewesen sein!“ und genauso geht es nun mir und vermutlich auch Lena, immer diese Frage: „war´s das?“

Dann kommt die Wut in mir hoch, Wut auf alles und jeden, Wut auf die Ärzte, Wut auf die Krankheit, Wut auf mich selbst, Wut auf alle die die uns noch zusätzlich das Leben schwer machen, Wut auf die die aus blinden Neid oder aus blinden Hass Scheißdreck über uns erzählen, Wut auf diese Hilflosigkeit. Ja ich habe es nicht für möglich gehalten, aber es gibt sie wirklich, diejenigen die uns nicht einem Cent gönnen, die meinen wir würden uns an der ganzen Sache gesund stoßen oder wir würden uns von den Spendengeldern einen neuen Traktor kaufen.
All denen die solch eine Irrsinn erzählen, denen würde ich gern sagen, das der „neue“ Traktor schon 6 Jahre alt ist und vor Lenas Krankheit gekauft wurde und das die Leute überhaupt keine Ahnung haben wie „krank“ wir sind, sodass von „Gesundstoßen“ überhaupt nicht die Rede sein kann. Und all denen würde ich so gern ins Gesicht sagen, sie sollten sich schämen, in Grund und Boden sollten sie sich schämen.

Wir würden so gern, so liebend gern auf all das Verzichten, auf die Berichte in den Zeitungen und den Filmen im Internet, auf die Einladungen und auch auf all die Geschenke und Spenden, wenn nur alles wieder gut wäre. Ich wünsche mir so sehr aus diesem Albtraum aufzuwachen, ich will den Alltag wieder zurück, ich will wieder Arbeiten gehen können, wieder ein ganz normaler Mensch sein ohne all diese Vorzüge, dafür vier gesunde Kinder haben, alles ist wieder gut.

Nein……………nein ich muss mich nicht rechtfertigen für das was wir tun und ich muss sagen ich bereue diesen Schritt in die Öffentlichkeit nicht. Natürlich ist man angreifbar, wenn einem alle beobachten können und nur auf den kleinsten Fehltritt warten. Doch obwohl ich nicht so gläubig bin, vor allem jetzt gerade nicht, kommt mir hier ein Spruch aus der Bibel in den Sinn: „Der, der frei von Schuld ist, werfe den ersten Stein!“

Wenn ich in Lenas strahlende Augen blicken kann, wenn wir dank der Spenden ihr wieder einen Wunsch erfüllen können, wenn wir ihr etwas kaufen können, über das sie sich so sehr freut, dann ist die ganze Wut wie weggeblasen. Dann weiß ich dass wir richtig gehandelt haben und richtig handeln, dann weiß ich dass man die die reden wollen, reden lassen muss, denn diese wird es immer geben. Wir können mit erhobenen Hauptes durch die Straßen, in Läden und Cafés gehen und müssen uns nicht verstecken, oder flüchten wenn wir gesehen werden, oder andere den Raum betreten. Die die Reden sind zwar neidisch auf all das was wir bekommen, aber tauschen will mit uns wohl keiner.
Wir beschreiten einen Weg, den keine Mutter, kein Vater, keine Familie gehen sollte und wahrscheinlich, wenn man die Wahl hätte auch nicht gehen will. Wir verlieren unser Kind und unsere Kinder verlieren ihre Schwester und keiner kann etwas tun, man ist verdammt dazu in diesem Horrorfilm mit zumachen, und wir haben keine Fernbedienung um aus- oder umzuschalten.

Viele dieser Glücksmomente in denen Lenas Augen strahlten und in denen wir für kleine Augenblicke so manches vergessen duften, diese Momente die wir in der letzten Zeit erleben durften, waren nur durch die kleinen und großen Spenden vieler lieber Menschen möglich und dafür sind wir so unendlich dankbar. Wir würden uns so gern bei jedem einzelnen persönlich bedanken, denn diese Momente sind nun Erinnerungen, Erinnerungen die uns bleiben, sie bleiben in unseren Herzen, so wie Lena immer in unseren Herzen bleiben wird. Und diese Momente sind es wert, sind alles wert, den Ärger über das Gerede, die Wut, den Fust, alles ist es wert und wir wollen es nicht missen. Dies ist auch der Grund warum wir weiter um Spenden bitten und uns nicht beirren lassen.

2000 Menschen haben auf unserer Facebookseite „gefällt mir“ gedrückt und ich bin jedem so unendlich dankbar dafür. Ich danke für die lieben Worte und das uns fremde, rund um den Erdball zur Seite stehen. Manche begleiten uns nur eine gewisse Zeit, manche bleiben auch länger und wir sind dankbar, dass wir diesem schweren Weg nicht alleine gehen müssen.

Ich weiß wir sind den richtigen Weg gegangen und wir werden diesen Weg weiter gehen, unbeirrt und mit erhobenen Kopf. Wir haben die Vorzüge genossen und nun kommt der dunkle Teil des Weges, doch auch diesen werden wir gehen und freuen uns über jeden der uns begleitet!

 

 

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Claudia (Mittwoch, 22 Juni 2016 21:31)

    Liebe Mama von Lena,
    Wir kennen uns nicht, jedoch folge ich dank Facebook eurer Geschichte und bin eine von den 2000 Gefällt mir :-)
    Berührende Worte lese ich hier. Bitte rechtfertigen Sie sich nicht für das was sie tun. Sie machen alles richtig. Niemand kann sich wirklich in Ihre Situation hineinversetzen. Verwenden Sie Ihre Energie nicht für Vampire, die Ihnen Energie rauben, sondern für das Positive, das Schöne, auch wenn es momentan vielleicht wenig gibt und weniger wird. Geben Sie Lena nicht auf! Ich wünsche Ihnen ein Wunder, vor allem Frieden in Ihnen selbst! Herzlichst, Claudia

  • #2

    maxi (Donnerstag, 23 Juni 2016 19:45)

    Liebe Mutti von Lena,woe heißt es so schön:" lass die Leute reden..." und so ist es!
    Lass sie reden,es ist euer los,das Ohr zu meistern habt,und keiner würde mit euch tauschen wollen,glaubt mir das!
    Und wenn das Geld ermöglicht,das eure Tochter mehr Lebensqualität hat,dann ist das auch gut so,dafür muss sich niemand rechtfertigen!
    Ich gestehe,das ich schon auf vielen Blogs gemeckert habe,über diese extravagantzen,welche sich viele durch Spenden finanzieren,aber gerade bei Kindern,bin ich der Überzeugung,sollte man sämtliche Hebel in Bewegung setzen!
    Es ist schon schwer genug,die Betreuung von so vielen Familienmitglieder unter einem Hut zu bekommen,da muss man sich nicht noch unnötig Sorgen machen müssen um finanzielle Angelegenheiten,oder nicht erfüllbare Herzenswünsche.
    Ich wünsche euch nur das Beste!
    Und hoffe innigst das ein Wunder geschieht!

  • #3

    Dunja (Freitag, 24 Juni 2016 09:34)

    Denke an euch und schicke euch Kraft
    Hoffe mit auf das Wunder :-*

    Glg
    Dunja

  • #4

    Bettina - Ilkas Freundin (Montag, 27 Juni 2016 20:39)

    Liebe Katja,
    Danke für Deine ehrlichen Worte. Das was Du empfindest kann ich alles nachvollziehen. Ich habe kein Kind verloren.Monika ist im Oktober 2010 verstorben. Sie war alles was ich zum dortigen Zeitpunkt hatte. Sie war meine beste Freundin, Vorbild ,Familie einfach Alles. Ich kenne diese Gedanken und Gefühle von Wut ,Hoffnungslosigkeit ,Sinnfrage wie geht es weiter und wie soll es werden? Wo ist Gott? Wo nehme ich Kraft her. Es ist eine traurige Zeit die man durchlebt und ich dachte es hört nie auf. Was ich Dir sagen kann ist: Die Liebe bleibt! Monika ist oft in Gedanken bei mir. Sie bleibt in meinem Herzen lebendig. Die Liebe kann der Tod nicht nehmen. Ich glaube fest daran daß wir uns Wiedersehen. Monika sagte mir, bevor Sie die letzte Woche in die Klinik gieng: wenn es bei dir so weit ist helfe ich dir rüber/hoch zu kommen. Damit wußte ich sie hat mir verziehen wo ich mich schuldig fühlte - und den Tod brauche ich nicht zu Fürchten - das letzte Sagen hat die Liebe und die Güte. In Gedanken umarme ich Euch Alle - für diese traurige Zeitspanne. Mögt Ihr Alle täglich aufs Neue die Kraft bekommen die Ihr benötigt.


  • #5

    Miriam (Dienstag, 28 Juni 2016 22:39)

    Nicht rechtfertigen. Du kämpfst um dein Kind wie eine Löwin um ihr junges. Du hast nicht den Kopf in den Sand gesteckt sondern Kräfte entwickelt die unglaublich sind und man kann und muss den Hut davor ziehen. Fühlt euch dich gedrückt du tust so unglaubliches ich hoffe das es vielen hilft zu sehen was ein einziger Mensch schaffen kann und was es bedeutet Mutter zu sein.

  • #6

    Daniel (Montag, 04 Juli 2016 19:44)

    Kämpfe Lena. Das Schicksal kann auch ein mieser Verräter sein. Aber kämpfe! Und wenn du irgendwann nicht mehr kämpfen kannst oder kämpfen willst, dann lasse dich fallen. Keiner wird dich dafür weniger lieben. Lasse dich fallen und du wirst aufgefangen. Lass die Angst nicht gewinnen. Glaube an dich und an das was kommt. Wenn das Erste vergeht, dann beginnt etwas neues. Habe keine Angst. Und sage auch deiner Familie, dass sie keine Angst haben müssen. Sie dürfen weinen, aber sie brauchen keine Angst haben vor dem was kommt. Du bist nicht allein.